Wir haben Schwierigkeiten, unsere Kolleg:innen in Gaza zu erreichen, aber wir geben nicht auf. Ihre Sicherheit hat für uns oberste Priorität. Die Verbindungen sind schlecht, werden unterbrochen oder teils gar nicht erst hergestellt, weil die Telefonnetze bombardiert werden. Wenn wir die Leiterin unseres Büros in Gaza erreichen, erzählt sie uns Schreckliches: "Die ständigen Bombardierungen lassen uns nicht schlafen. Die Gesichter der Kinder erzählen von unserem Leid. Sie sind mehr als traumatisiert und zutiefst verängstigt. Sie weinen ständig und fragen uns: Wann hört das endlich auf? Wann kann ich wieder in die Schule gehen?"
Bisher sind diese Fragen nicht beantwortet. Eines ist jedoch sicher: Die Kinder in den besetzten palästinensischen Gebieten und in Israel sind Opfer eines Konflikts, den sie sich nicht ausgesucht haben. Seit dem 7. Oktober wurden in diesem Krieg mehr als 4500 Kinder getötet und Tausende verletzt, so der jüngste Bericht (14. November) des Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). In Gaza machen Kinder und Jugendliche die Hälfte der Bevölkerung aus und sind daher besonders stark von den Feindseligkeiten betroffen: Fast 70 Prozent der Opfer in Gaza sind Frauen und Kinder. Darüber hinaus wurden mehr als 1750 Kinder in Gaza als vermisst gemeldet. Sie könnten unter den Trümmern eingeschlossen auf Rettung warten oder tot sein. In Israel haben viele Kinder Familienmitglieder verloren und sind selbst traumatisiert von dem, was sie erlebt haben. Viele sind in Ungewissheit, ob sie ihre als Geiseln festgehaltenen Angehörigen jemals wiedersehen werden.
Krieg hinterlässt immer bleibende Spuren. Das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen in Gaza war bereits vor der Krise stark beeinträchtigt. Nach Jahren ununterbrochener Blockade und wiederholter Eskalation der Gewalt berichtete mehr als die Hälfte der von Terre des hommes befragten Kinder über Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu verarbeiten und den Alltag zu bewältigen. Stellen Sie sich vor: Ein 17-jähriger Jugendlicher in Gaza erlebt bereits zum sechsten Mal einen Krieg. Statt Schüler:innen sind in Klassenzimmern bis zu acht Familien gleichzeitig untergebracht, ohne Essen und Wasser. Doch auch diese Orte sind vor Luftangriffen nicht sicher. Statt Geschichten hören die Kinder abends Explosionen. Dieses Trauma hat unvorstellbare Langzeitfolgen für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen.
Wie alle Kinder auf der Welt verdienen auch die von diesem Krieg betroffenen Kinder eine Kindheit, in der sie sich keine Sorgen machen müssen, ob sie und ihre Familien am nächsten Morgen aufwachen. Die humanitäre Hilfe erreicht die Zivilbevölkerung in Gaza nur langsam und ist bei weitem nicht ausreichend. Vor kurzem konnten wir unsere erste Hilfslieferung mit Wasser, Nahrungsmitteln und Erste-Hilfe-Kits nach Gaza bringen, wo sie von unserem Team und unserer Partnerorganisation an die Kinder und ihre Familien verteilt werden. Neun der fünfzehn Lastwagen konnten bereits den Grenzübergang Rafah passieren. Trotz der humanitären Bemühungen ist der Bedarf an Hilfsgütern nach wie vor immens und steigt weiter an. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Konfliktparteien den vom Generalsekretär der Vereinten Nationen geforderten humanitären Waffenstillstand so schnell wie möglich akzeptieren. Mehr denn je sind die Kinder auf ein entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft angewiesen.
Dieser Text erschien in Form eines Meinungsbeitrages in Le Temps.